Der Jüdische Nationalfonds 1901–1948

Von Anfang an ein Instrument des zionistischen Projektes


Ein Taschenkalender von 1930 erinnert an die Ziele des Judischen Nationalfonds.


Seit der Gründung des Jüdischen Nationalfonds Ende des 19. Jahrhunderts machten sich die bis dahin nur lose ver­knüpften Befürworter­Innen eines jüdischen National­staates daran, ihre Utopie in die Tat um­zusetzen. Auf Initiative von Theodor Herzl wurde 1897 in Basel der erste Zionistenkongress abgehalten. Die 204 TeilnehmerInnen aus aller Welt einigten sich auf eine gemeinsame politische Perspektive: die Errichtung eines jüdischen Staates. Zu diesem Zweck gründeten sie den zionistischen Weltkongress und verein­barten, sich im folgenden Jahr wieder zu treffen. Schon bei diesem ersten Kongress wurde über die Schaffung einer Organisation diskutiert, die in Palästina Land kaufen und an jüdische Siedler­Innen verteilen sollte. Es dauerte dann jedoch noch vier Jahre, bis diese Idee mit der Gründung des Jüdischen Nationalfonds (JNF/KKL) auf dem vierten Zionistenkongress 1901 realisiert wurde.

Der JNF/KKL war von Anfang an als ein Instrument des zionistischen Projektes gedacht gewesen. Es ging darum, die Umsetzung der eigenen Utopie selbst in die Hände zu nehmen und nicht zu warten, bis eine wohlgesinnte Grossmacht den verfolgten Juden und Jüdinnen zu Hilfe kommt. Obwohl der Zionismus von keinem europäischen Staat vorangetrieben wurde, war die Ideologie eindeutig im kolonialistischen Denken jener Zeit verankert:

Vielen Vordenkern eines jüdischen Staates war von Anfang an bewusst, dass sie ihr Ziel nur durch die (zumindest teilweise) Vertreibung und Verdrängung der im „Gelobten Land“ ansässigen, nicht jüdischen Bevölkerung erreichen würden. Man bezeichnete diesen Vorgang als Transfer“, und es gab unterschiedlichste Haltungen dazu, was man damit genau meint und wie er durchzu­führen sei. Im Grossen und Ganzen gab man der Frage bis zum Ende der 1930er-Jahre wenig Gewicht, zu viele andere Hindernisse waren auf dem Weg zum eigenen Staat noch zu überwinden.

Anfangsphase: Zeit bis zum Ersten Weltkrieg

Es dauerte eine Weile, bis der JNF/KKL wirksame Arbeit leisten konnte. In den ersten Jahren seines Bestehens kam es nur zu vereinzelten Landkäufen, hinter denen keine klare Strategie steckte. Erfolgreicher war die Organ­isation von Beginn weg in Hinblick auf das Sammeln von Spenden. Es gelang ihr, eine kleine blaue Spendenbox zu verbreiten, die innert einiger Jahre zum wichtigsten Merkmal des JNF/KKL und der zionistischen Besiedlung Palästinas wurde. Die finanziellen Zuwendungen waren zwar schon bald beachtlich, in Relation zum (unerschöpflichen) Ziel der Organisation – so viel Land erwerben wie möglich – waren die Mittel dennoch sehr bescheiden.

In jener Zeit war der JNF/KKL nur ein zionistischer Landkäufer unter vielen: Kibbuzim, jüdische Privatleute oder kleinere Sied­lungsorganisationen erwarben und besassen bis 1919 zusammen ein Vielfaches des Landes, das in JNF/KKL-Hand war. Unter der Obhut der Osmanen war es für Ausländer enorm schwie­rig, Land zu erwerben. Zudem durfte Agrarland nicht länger als drei Jahre brachliegen, ansonsten konnte der Staat die Besitzer enteignen.

Die Verkäufer waren meist arabische Grossgrundbesitzer, die selbst in arabischen Städten der Region (Beirut, Jerusalem) lebten und ihr Land an Kleinbauern/Kleinbäuerinnen verpachtet hatten. Dass Ländereien ab und an die Besitzer wechselten, war an sich nichts Aussergewöhnliches. Traditionell hatte sich dadurch für die BewohnerInnen des Landes nicht viel geändert: Sie hatten nun die Pacht einfach an einen anderen Herrn zu entrichten.

Dies änderte sich mit dem Auftauchen zionistischer InteressentInnen und dem Ende des Osmanischen Reiches schlagartig. Entsprechend der zionistischen Ideologie, mit jüdischen ArbeiterInnen einen jüdischen Staat zu schaffen, der den diskriminierten und verfolgten Juden und Jüdinnen weltweit eine Heimat bieten sollte, war für arabische, nicht jüdische Bauern-familien kein Platz mehr. Von Anfang an war vom Jüdischen Weltkongress (JWK) geplant, dass der JNF/KKL das Land, das die Zionisten in Palästina in Besitz brächten, im Namen des jüdischen Volkes als „Treuhänder“ verwalten sollte. Wie in seinen Statuten festgeschrieben, sollte das Land ausschliesslich der „jüdischen Nation“ dienen.Die Vertreibung arabischer PächterInnen war somit unausweichlich. Unter osmanischer Herrschaft war dies jedoch äusserst schwierig. Erst als nach dem Ende des Ersten Weltkriegs das Osmanische Reich unterging und die Briten die Herrschaft über Palästina übernahmen, war die Zeit für den JNF/KKL gekommen.

Osmanische Landgesetze und deren Transformation in der Mandatszeit

Die britische Mandatsverwaltung machte sich 1921 unverzüglich daran, die osmanischen Landgesetze in ein koloniales juristisches System zu transformieren. Im Zentrum stand dabei der 1858 verabschiedete „Osmanische Landkodex“, welcher alles Land in fünf Kategorien unterteilt hatte. Dieses Gesetz bzw. seine katastrophale Umsetzung in osmanischer Zeit war eine der Ursachen für den erfolgreichen Landerwerb der verschiedenen zionistischen Kräfte während der Mandatszeit.

Voraussetzung für die Wirksamkeit des Landkodexes war eine detaillierte Registrierung sämtlichen Landes. Für die Kleinbauern/Kleinbäuerinnen und PächterInnen war die Registrierung des von ihnen bearbeiteten Landes aus mehreren Gründen völlig uninteressant: Zum einen war die zentralstaatliche Gesetzgebung in ihrem Leben seit jeher unwichtig, eine Regis­trierung des eigenen Landes demnach in ihren Augen unnötig.

Zum anderen befürchteten sie neue Pflichten gegenüber dem Staat (mehr Steuern, Militärdienst, mehr Kontrolle durch die Behörden). Im damaligen Palästina wurde die Übersicht über die Land­registrierung den lokalen osmanischen Behörden übertragen. Damit öffneten sich Tür und Tor für Korruption und Missbrauch. Lokale Beamte und Eliten liessen ganze Landstriche, ganze Dörfer auf ihren Namen registrieren, ohne dass die betroffenen Bauern davon etwas merkten.

So entstand eine arabische Schicht von Grossgrundbesitzern. Die britische Mandatsregierung orientierte sich bei ihrer kolonialen Anpassung des Rechts meistens an den schriftlichen Gesetzen und Registern und nicht an der Realität vor Ort, sodass die erschlichenen Ansprüche arabischer Notabeln unhinterfragt anerkannt wurden.

Dies kam dem JNF/KKL sehr gelegen, denn viele Grossgrund­besitzer, die meist in einer Stadt lebten und kaum einen Bezug zu ihrem Land hatten, verkauften ihm ihre Ländereien. Bis 1929 stammte laut damaliger Aussage eines Vertreters der Jewish Agency rund 90 Prozent des erworbenen Landes von „abwesenden Grundbesitzern“ (vgl. Ottoman Land Registration Law as a Contributing Factor in the Israeli-Arab Conflict).

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Zionistische Landerwerbe und ihre Folgen

In den 1920er-Jahren begann der JNF/KKL, seine Tätigkeit zu systematisieren und ein Konzept für seine Landkäufe auszuarbeiten. Man entschied, sich auf ländliche Regionen zu konzentrieren, um landwirtschaftliche Siedlungen zu ermöglichen. Zudem legte man als geografischen Schwerpunkt das Jezreel-Tal, später die Küste in Judäa und Sharon, fest. Auf diese Weise erwarb der JNF/KKL bis 1927 rund 200 000 Dunam (= 200 km2) Land. Insgesamt belief sich das Land in jüdischem Besitz in jenem Jahr auf 900 000 Dunam (= 900 km2). Die PächterInnen, die tatsächlich auf den Ländereien wohnten und von der Landwirtschaft lebten, hatten das Nachsehen. Sie wurden meist vertrieben und waren gezwungen, in die Städte zu ziehen. Der JNF/KKL war in dieser Hinsicht besonders unnachgiebig. Vertreter des JNF/KKL besuchten persönlich die neu erworbenen Ländereien und ermutigten die neuen jüdischen Besitzer, die einheimischen PächterInnen hinauszuwerfen, selbst wenn sie keine Verwendung für die gesamten Ackerflächen hatten ( siehe Ilan Pappe, Die Eth­nische Säuberung Palästinas).

Auf diese Weise entstand eine neue Schicht von arabischen landlosen Bauern/Bäuerinnen. Ihr Zorn auf „die europäischen Juden“, die scheinbar über enorme finanzielle Mittel verfügten, und auf die Briten, die nichts gegen die langsame Verdrängung der Einheimischen unternahm, wurde immer grösser und entlud sich schliesslich 1929 in einer Reihe lokaler Aufstände mit zum Teil tödlichem Ausgang.

In Hebron und Safa kam es zu Massakern an jüdischen Sied­ler­Innen, insgesamt kamen bei den Unruhen 133 Juden und 230 Araber ums Leben. Um die Ereignisse aufzuklären, Gründung des Jüdischen Nationalfonds (KKL) am fünften Kongress der zionistischen Bewegung (1901) in Basel 10 setzte die Mandatsregierung eine Untersuchungskommission ein. In ihrem Bericht, dem Shaw Report vom März 1930, wird die Entwicklung der 1920er-Jahre deutlich aufgezeigt:

„Es gibt unanfechtbare Hinweise, dass die jüdischen Behörden sich ernsthaft von der Doktrin [...] verabschiedet haben, die Einwanderung anhand der wirtschaftlichen Kapazität Palästinas, Neuankömmlinge zu absorbieren, zu regulieren. [...] Zwischen 1921 und 1929 kam es zu gross angelegten Landverkäufen. Als Konsequenz davon wurden zahllose Araber vertrieben, ohne dass ihnen ein anderes Stück Land zur Verfügung gestellt wurde. [...] Dadurch wurde eine landlose und unzufriedene Klasse geschaffen. Das heute weit verbreitete Gefühl basiert auf der zweifachen Furcht der Araber, dass sie durch jüdische Immigration und Landkäufe ihrer Existenzgrundlage beraubt würden und dass sie mit der Zeit unter die politische Herrschaft der Juden kämen.“

Rabbiner Moses Porush (c.) und und Rabbiner Joseph Levi Hagiz mit einem palästinensichen Großgrundbesitzer zeigen eine Urkunde für eine große Fläche Land die sie gerade gekauft hatten.
Als Folge dieses Berichts verschärfte die Mandatsregierung 1930 die Gesetze zum Schutz von PächterInnen und Kleinbauern/Kleinbäuerinnen. Vor allzu einschneidenden Massnahmen (zum Beispiel das von arabischer Seite geforderte Verbot für Ausländer, Boden zu erwerben) schreckte sie aber zurück. Darin zeigte sich einmal mehr die unklare Politik der Briten, die während der ganzen Mandatszeit zwischen ihren Sympathien für die zionistischen Einwanderer und dem Schutz der einheimischen Bevölkerung schwankten. Die historische Forschung hat in den letzten Jahren deutlich aufgezeigt, wie die Zionisten die britische Kolonialverwaltung immer wieder für ihre Zwecke einspannen konnten.

Die unterschiedlichen, aber stark ineinander verwobenen Interessen der Briten und der Zionisten führten zu einem sogenannten „Dualen Kolonialismus“ (Begriff von Ronen Shamir): Die jüdischen Einwanderer übernahmen die konkrete Kolonisierung des Landes, während die britischen Behörden den kolonialistischen Rahmen in politischer, rechtlicher und administrativer Hinsicht garantierten. Der Aufstand von 1929 und die grassierende Weltwirtschaftskrise hatten zur Folge, dass der JNF/KKL in den Jahren darauf massiv weniger Land erwerben konnte. Zum einen wurden weniger Spendengelder generiert, zum anderen machte sich angesichts der zunehmenden Spannungen mit der einheimischen Bevölkerung eine pessimistische Stimmung breit. Zudem erlebte die palästinensische Wirtschaft in der ersten Hälfte der 1930er-Jahre einen Aufschwung, sodass weder Bauern noch Grossgrundbesitzer finanziell zum Verkauf ihres Landes gezwungen waren.

Die zionistischen Ländereien nehmen Form an: JNF/KKL-Aktivitäten bis 1947

Mit seinen Landkäufen schaffte es der JNF/KKL, Fakten zu schaffen, die in den 1940ern massgeblich in die UN-Pläne zu Palästina einflossen. Trotz schwieriger Bedingungen besass der JNF/KKL 1936 360 000 Dunam (= 360 km 2 ) Land, was etwa einem Drittel allen jüdischen Landbesitzes in Palästina entsprach. Trotz des grossen palästinensischen Aufstands von 1936–1939 gelang es dem JNF/KKL, seinen Landbesitz in den kommenden zehn Jahren fast zu verdreifachen: Am Vorabend des Krieges von 1948 waren knapp sieben Prozent Palästinas – 1,85 Millionen Dunam (1850 km 2 ) Land – in den Händen der jüdischen Community, die Hälfte davon unterstand dem JNF/KKL.

Im Laufe der 1930er-Jahre konzentrierte sich der JNF mehr und mehr darauf, einzelne Ländereien, die bereits in jüdischem Besitz waren, zu grösseren Einheiten zu verbinden. Mit anderen Worten bemühte er sich darum, die „Lücken“ zwischen verschiedenen jüdischen Landstrichen zu erwerben, um daraus ein zusammenhängendes jüdisches Gebiet zu machen. Damit gelang es der zionistischen Bewegung, Mitte der 1940er-Jahre zwei grössere Landstriche als „jüdisch“ bezeichnen zu können: die Küstenregion von Haifa bis südlich von Tel Aviv und die Region zwischen Haifa und dem Tiberias-See.

Die UNO, die sich zu jener Zeit um einen Teilungs­plan für Palästina bemühte, wurde damit vor vollendete Tatsachen gestellt, die sie nicht ignorieren konnte. So teilte sie diese beiden Landstriche dem neu zu gründenden jüdischen Staat zu.

Die Landkäufe des JNF/KKL vor dem Krieg von 1948 waren für die Entstehung Israels von grosser Bedeutung. Auch wenn der JNF/KKL in den ersten 35 Jahren seines Bestehens „nur“ 3,5 Prozent Palästinas kaufen konnte, setzte er damit den Grundstein für die jüdische Besiedlung des Landes. Zudem ermöglichte seine kontinuierliche Arbeit, planmässig und systematisch vorzugehen und viele kleine Puzzlestücke, die von jüdischen Siedlern privat erworben wurden, miteinander zu verbinden und damit zum Kern des zukünftigen Territoriums Israels zu machen.